02.09.2008 Schrift
Eine Familie zum Knutschen
Bloggende “Sex and the City”-Lookalikes und niedliche Bühnenshow- Requisiten: Im Wahlkampf brauchen die Kandidaten passende Kinder. Da stört ein schwangerer Teenager. VON U.HERRMANN
Der US-Wahlkampf wird immer mehr zur Soap-Opera: Jetzt hat sich herausgestellt, dass die 17-jährige Bristol Palin schwanger ist. Vater soll der 18-jährige Levi Johnston sein, der von den Medien als “breit gebaut”, “kantig” und “gutaussehend” beschrieben wird. Stimmt. Johnston könnte ein Casting für “Gute Zeiten, schlechte Zeiten” jederzeit bestehen.
Die Geschichte von Bristol und Levis Teenieliebe würde nicht weiter interessieren, wenn die werdende Mutter nicht die Tochter von Sarah Palin wäre, dem neuesten Shooting-Star der Republikaner. Erst am Freitag hatte Präsidentschaftskandidat John McCain die 44-Jährige zu seiner Vizin ernannt. Und nun der erste Skandal.
AnzeigeDabei hatte Sarah Palin den Mythos der heilen Familie verkörpern sollen: Die Gouverneurin von Alaska hat fünf Kinder; der älteste Sohn Track, so verkündete sie stolz, werde demnächst in den Irakkrieg ziehen. Der jüngste Sohn Trig ist erst vier Monate alt und kam zur Welt, obwohl die Ärzte warnten, dass er behindert sein würde. Diese Standfestigkeit der Abtreibungsgegnerin Palin sollte die konservativen Wähler beeindrucken.
Doch wie bei jeder Soap gab es schon vorher ein böses Gerücht, das den Schein des Familienideals bloßstellen wollte: Angeblich, so zirkulierte es im Internet, sei Trig nicht der Sohn von Gouverneurin Sarah Palin – sondern ihr Enkel. Palin hätte eine Schwangerschaft vorgetäuscht, damit nicht herauskommt, dass ihre Tochter vorehelichen Sex hatte – schließlich wäre das peinlich gewesen für die Mutter, die sich als Verfechterin der “Keuschheit vor der Ehe” profiliert hat.
Wem dieses Drehbuch bereits zu kompliziert ist – es wird noch besser: Um ihre Mutterschaft bei Trig zu beweisen, fiel Gouverneurin Palin nur noch ein, mit der Schwangerschaft ihrer Tochter zu kontern. Und so wissen nun alle, dass Sarah Palin im Dezember Großmutter wird. Bis dahin müssen die werdenden Eltern natürlich noch heiraten.
Am Happy End wird also frenetisch gebastelt, doch der Serienschluss ist noch weit weg. Die Kinder aller Kandidaten werden Hauptdarsteller dieser Wahlkampf-Soap bleiben, obwohl der demokratische Bewerber Barack Obama gefordert hatte, dass “die Familien der Leute tabu sind – und die Kinder ganz besonders”. Doch ist kaum vorstellbar, dass ausgerechnet Obama auf die Wahlkampfhilfe seiner beiden kleinen Töchter Malia Ann und Natasha verzichten wird – sind doch die niedlichen Mädchen ein zentrales Requisit, um ihn als Kennedy-Nachfolger zu inszenieren. Schließlich zog auch Kennedy einst mit zwei kleinen Kindern ins Weiße Haus ein, die dann jede Home-Story des jungen Präsidenten zierten.
Aber wohl niemand hat derart genial-bekloppt verstanden, wie die Dramaturgie im Internet-Zeitalter funktioniert, wie ausgerechnet John McCains Tochter Meghan. Die blondierte 23-Jährige betreibt einen eigenen Blog (www.McCainBlogette.com), in dem sie ohne jede Scheu als eine Mischung aus Paris Hilton und Sarah Jessica Parker posiert. Die Anleihen an “Sex and the City” werden dabei sehr bewusst markiert: Im Blog-Logo ist die Silhouette einer jungen Frau im Trägerhemdchen mit Laptop zu sehen, die langen Beine gekreuzt, die in Stöckelschuhen enden – ganz Soap-Star Carrie Bradshaw.
Nur “Mr. Right” muss Meghan McCain nicht mehr finden. Ihn kennt sie seit ihrer Geburt: Es ist “Dad” John McCain. Fast täglich stellt sie Fotos von ihm ein, stets aus der Backstage-Perspektive: “Dad” scherzt im Flugzeug, “Dad” isst Pizza im Wahlkampfbus; “Dad” winkt den Massen zu. “The crowd loved it”, lautet der bewusst naive Kommentar. Die Tochter macht sich zum infantilen Groupie, damit der alte Vater jünger wirkt.
Im idealen Wahlkampfskript hat also jeder Politiker die Kinder, die er braucht: Patrioten für den Irakkrieg, neue kleine Kennedys oder blondierte Fans. Zum Glück wird die Regie irgendwann von der Realität übernommen.
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