Der Schwächere gibt nach
Von Ines Zöttl
08.04.2011
Israel ist erst einmal der Verlierer der Entwicklungen im Nahen Osten. Die Regierung sollte sich zum Frieden mit den Palästinensern durchringen, bevor es zu spät ist.
Die Zukunft Israels zeigt eine Landkarte, die Tony Blair, der Sondergesandte des Nahostquartetts, kürzlich auf seiner Website einstellte: “Arabischer Frühling” hieß die, und Israel existierte darauf namentlich nicht. Die Landkarte des Nahen Ostens bestand ausschließlich aus arabischen Staatennamen.
Der britische Ex-Premier Tony Blair Der britische Ex-Premier Tony Blair
Es war eine blöde, kleine Ungeschicklichkeit, inzwischen ist die Karte gelöscht. Aber unfreiwillig hat es Blair mit seinem Fauxpas auf den Punkt gebracht: Die ganze Region ist im Umbruch, aber Israel, geografisch mittendrin, kommt in dem Schauspiel nicht vor. Es steht als Zuschauer an der Seitenlinie. Wenn auch wahrlich nicht als neutraler Zuschauer: In Israel haben die Revolten in den verkrusteten arabischen Nachbarstaaten vor allem Sorge ausgelöst. Während in vielen Ländern der Welt der Sturz des ägyptischen Präsidenten Hosni Mubarak bejubelt wurde, fürchtete Israel den Verlust eines Freundes.
Die Konstellation, die die Ereignisse der letzten Monate geschaffen haben, ist von geradezu teuflischer Perversität. Die einzige echte Demokratie des Nahen Ostens, der Staat, der zu unserer Wertegemeinschaft gehört wie keiner sonst dort, muss den Frühling der Demokratie fürchten. Denn, bei aller öffentlich bekundeten Feindschaft, sicherten die bisherigen Regime doch so eine Art kalten Frieden. Diese Stabilität des Schreckens ist ins Wanken geraten.
Für Israel gibt es nur einen Ausweg: Frieden jetzt. Dieser Frieden wird einen Preis haben – und er wird höher sein als der, den Israel bisher zu zahlen bereit ist.
Man kann lange und erbittert darüber diskutieren, welche Seite schuld ist, dass unzählige Friedensrunden und jahrelange internationale Diplomatie keinen Kompromiss zwischen Israelis und Palästinensern erreicht haben. Realpolitisch empfiehlt sich: Der Schwächere gibt nach. Israel braucht den Frieden dringender als die Araber. Die Zeit läuft dem kleinen Mittelmeerstaat davon. Die Veränderungen in der Region bergen Risiken. Und zugleich manövriert sich die Regierung von Benjamin Netanjahu in eine diplomatische Isolation.
In Ägypten wird die bisher unterdrückte israelfeindliche Muslimbruderschaft künftig mitmischen. Bislang beteuert die Militärregierung, dass am Friedensvertrag mit Israel festgehalten werde. Unstrittig ist aber, dass weite Teile der Bevölkerung die “Israelfreundlichkeit” ihres gestürzten Präsidenten Mubarak nicht teilen – und dass diese Bevölkerung künftig über Wahlen den politischen Kurs mitbestimmen wird.
Teil 2: Israel scheitert mit Leck-mich-Haltung
Auch in anderen arabischen Ländern wünschen sich viele Bürger, dass ihre Regierungen mehr zur Unterstützung der palästinensischen Brüder unternehmen. Und wo die Despoten nicht gestürzt werden, könnten sie zum probaten Mittel greifen, die Wut auf Israel abzuleiten. So wie es Mubarak während der Tahrir-Platz-Aufstände – vergeblich – versuchte.
Selbst einen Regierungsumsturz in Syrien, dem Unterstützer der Schiitenmiliz Hisbollah, kann Israel sich nicht mit ganzem Herzen herbeiwünschen. Auch Präsident Baschar al-Assad sicherte immerhin Stabilität. Zugleich muss Israel befürchten, dass der Iran durch die Verwerfungen in der Region Einfluss gewinnt.
Schon jetzt zeigt sich deutlich, wie brisant die Sache für Israel werden kann. Die Gewalt zwischen Israel und den militanten Palästinensern im Gazastreifen eskaliert. Israel hat mit einer neuen Militäroffensive gedroht. Die Dschihadisten haben ein Interesse daran: Am Ende eines neuen Gazakriegs wird Israel der Verlierer sein, egal wie er ausgeht. Die Spirale aus Gewalt und Gegengewalt lässt sich militärisch nicht beenden, das hat der Krieg Anfang 2009 gezeigt.
Zurück bliebe ein noch kaputteres, noch verzweifelteres, noch gefährlicheres Fleckchen Erde. Und Israel fände im Westen wenig Verständnis für die Aktion, ungeachtet dessen, dass der Uno-Berichtsbeauftragte Richard Goldstone zu Israels Genugtuung gerade den Vorwurf zurückgezogen hat, es seien damals absichtlich Zivilisten angegriffen worden.
Die Regierung Netanjahu hat viel des internationalen Goodwills verspielt, den Israel dringender braucht als Panzer und Raketen. Ihre Leck-mich-Haltung beim Siedlungsbau hat Sympathien auch bei Freunden gekostet. US-Präsident Barack Obama musste sich am Ende der harten Haltung Israels beugen und seine “Doktrin” – erst Baustopp, dann Verhandlungen – aufgeben. Doch seitdem ist sein Engagement eingeschlafen.
Die israelische Regierung gerät mit ihrer Verweigerungshaltung zunehmend in die Defensive. Im September wird die Uno-Vollversammlung voraussichtlich die Anerkennung des “Staates Palästina” beschließen und ihn in die Uno aufnehmen. Das Nahostquartett aus USA, Uno, Russland und EU berät derzeit über einen Friedensplan. Einen “diplomatisch-politischen Tsunami” sieht selbst Verteidigungsminister Ehud Barak auf sein Land zurollen.
Dabei ist spätestens seit Bekanntwerden der “Palileaks”-Dokumente klar, dass eine Friedensvereinbarung möglich ist. Die vom Sender al-Dschasira veröffentlichten Papiere zeigen, wie weit viele Streitfragen schon einmal geklärt waren. Jeder Beobachter kann nach jahrelangen Verhandlungen skizzieren, wie eine Einigung am Ende aussehen muss und wird. Zwei Staaten auf der Grundlage der Grenzen von 1967 mit vereinbarten Anpassungen. Ein symbolisches Anerkenntnis des palästinensischen Flüchtlingselends, aber nur ein sehr begrenztes Rückkehrrecht. Sicherheitsgarantien und Anerkennung Israels und eine gemeinsame Hauptstadt Jerusalem.
Der Teufel steckt wie immer im Detail, aber noch mehr in der fehlenden Bereitschaft beider Seiten, in Vorleistung zu gehen. Israel muss etwas riskieren. Dann könnte der arabische Frühling für das Land eines Tages zum schönen Sommer werden: als Demokratie unter anderen friedlichen Demokratien.
Israel sollte auf den einstigen Partner Mubarak hören: “Ein dauerhafter Frieden zwischen Israel und Palästinensern würde das Licht der Hoffnung dem Nahen Osten und den Menschen überall bringen”, schrieb der einmal in der “New York Times”.
Pathos oder Realpolitik, es bleibt sich gleich: Frieden jetzt.
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