“USA! USA!”
New Yorker bejubeln an Ground Zero Bin Ladens Tod
Am Ground Zero wird der Tod Bin Ladens ausgelassen gefeiert. Für sie ist es die Chance, einen Schlussstrich unter das Trauma vom 11. September zu ziehen.
Das alles ist ihr etwas unangenehm. Sie sei ja gegen den Krieg, sagt sie, und natürlich sei es immer schlimm, wenn jemand sterbe. Doch dann sagt Tamara Reynolds, 30 Jahre alt, Schauspielerin aus New York: „Ich habe noch nie den Tod von jemandem gefeiert, aber heute Nacht trinke ich Champagner.“
Jubel in Washington und New York
Dann fängt sie an zu singen, die amerikanische Nationalhymne, im Chor mit Tausend anderen New Yorkern, die sich spontan versammelt haben. „Als ich die Nachricht gehört habe“, sagt Reynolds, „wusste ich, ich muss hierhin kommen.“
Seit 2001 klafft eine Wunde im Herzen der Stadt
Hierhin, an den Ort, an dem einst das World Trade Center stand. Hierhin, wo Osama Bin Laden New York so sehr getroffen hat, dass seit knapp zehn Jahren eine offene Wunde im Herzen der Stadt klafft.
Die ersten sind zum Ground Zero gekommen, ein paar Minuten nachdem Präsident Obama im Fernsehen den Tod des Drahtziehers des 11. September verkündet hat. Eine knappe Stunde später, kurz nach Mitternacht Ortszeit, haben sich rund eintausend Menschen versammelt. Sie singen die Nationalhymne, schwenken Fahnen, rufen im Chor immer wieder: “USA! USA!”
Tamara Reynolds steht mittendrin auf der Church Street, keine zehn Meter entfernt von dem Loch, das Ground Zero so lange war. Sie zeigt dorthin, dort wo jetzt schon ein paar Dutzend Stockwerke stehen vom neuen Freedom Tower, der nach jahrelangem hin und her nun doch endlich gebaut wird. Über Bin Laden sagt sie: „Der Typ hat diesen Ort zerstört, aber jetzt ist er tot und hier wächst hier ein neuer Turm.“ Soll heißen: Wir haben gewonnen.
Immer wieder stimmen New Yorker die Nationalhymne an
Dieses Gefühl eines Sieges spürt man in dieser New Yorker Nacht an Ground Zero immer wieder. Ein paar Meter weiter steht Timothy Hill, 27 Jahre alt und kurze Haare. Er ist in der US-Marine. Drei Einsätze im Irak. Viele gefallene Kameraden. Er sagt: „Jetzt hat sich alles gelohnt.“
Barack Obamas Rede an die Nation
Als Hill die Nachricht im Fernsehen gehört hat, zu Hause im Stadtteil Staten Island, hat er sich ins Auto gesetzt, ist eine halbe Stunde hierher gefahren. Gerast, sagt er. Er wollte einfach hier sein, „an diesem Ort, wo so viel Leid war“. Jetzt steht auf der Church Street, hat sich eine US-Flagge umgehängt. Er trägt seine Freundin auf den Schultern, auch sie schwenkt eine Flagge durch die Nacht. Sie singen die Hymne, schon zum dritten Mal.
Wieder hat sie jemand angestimmt und wieder singen fast alle mit. Alle zehn Minuten geht das so. Jetzt ist es ein junger Mann, der auf ein Straßenschild klettert und den Chor dirigiert. Timothy Hill versingt sich bei der zweiten Strophe. Er muss lachen, das sei ihm noch nie passiert, sagt er. Jetzt ruft die Menge: „USA! USA!“ Und danach, zumindest ein paar Hundert: „Yes We Can“, den alten Obama-Slogan.
Wie die USA Bin Laden jagten
Osamas Tod ist auch ein Erfolg Obamas, dieser Tag könnte gar die Präsidentschaft verändern. Doch wenn es um den Präsidenten geht, ist die Einigkeit auch hier in dieser New Yorker Jubelnacht vorbei.
Irak-Veteran Hill sagt: Obama wollte doch nichts mehr, als uns aus dem Krieg gegen den Terror rauszuholen. Er darf sich diesen Erfolg nicht anheften. Seine Freundin nickt. Sie sagt, sie wolle jetzt George W. Bush umarmen und ihm danken.
New Yorker sind erleichtert: „Jetzt schließt sich ein Kreis.“
Das sehen viele anders, so auch der heimliche Star an diesem Abend: ein junger Mann, der die Uniform der US-Navy trägt. Er hält ein Pappschild in die Luft, auf dem steht: Obama 1 – Osama 0. „Halt das Schild hoch!“ ruft jemand. Kamera-Teams drängen sich um ihn, Fotografen wollen seinen Namen aufschreiben.
Er heißt Hector Santini. Acht Jahre bei der Navy, sagt er. Jetzt ist er seit vier Jahren Reservist. Heute hat er die Uniform aus dem Schrank geholt, weil er stolz ist. Auf seinen Dienst in Irak.
USA töten Osama Bin Laden in Pakistan
Als die Kameras weiterziehen, sagt er: Es sei gar nicht sein Schild. Er habe es auf der Straße liegen sehen und es einfach genommen. „Aber es stimmt ja, was draufsteht.“ Natürlich sei das Obamas Verdienst. Er habe den Schlag gegen Bin Laden schließlich angeordnet.
Aber viel wichtiger sei doch, sagt Santini, dass die New Yorker nun erleichtert sein könnten, nach all diesen schweren Jahren. Und das ist das andere Gefühl, das in dieser Nacht an Ground Zero überall zu spüren ist. Timothy Hill drückt es so aus: „Jetzt schließt sich ein Kreis.“ Vielleicht haben die New Yorker in dieser Nacht das dunkelste Kapitel ihrer Geschichte abgehakt. Morgen, sagt Tamara Reynolds, werde die Stadt eine andere sein.
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