Die USA verhandeln über ihre eigene Niederlage
Die Taliban-Rebellen und die USA stehen kurz vor einer Einigung über eine Beendigung ihres Konflikts. Frieden wird das Abkommen jedoch nicht bringen – zu sehr lässt sich die Administration Trump von wahlpolitischem Kalkül verblenden.
Glaubt man dem amerikanischen Sondergesandten Zalmay Khalilzad, so stehen die USA und die afghanischen Taliban unmittelbar vor dem Abschluss eines Abkommens, das nach 18 Jahren Militärpräsenz den Abzug der alliierten Truppen einleiten soll. Die nach den Terroranschlägen vom September 2001 begonnene Intervention am Hindukusch wird oft als Amerikas längster Krieg bezeichnet. Doch mit einem Abzug wird der Krieg nicht enden. Was Khalilzad seit vergangenem Jahr in neun Gesprächsrunden ausgehandelt hat, ist blosse Augenwischerei, ein Friedensabkommen ohne Frieden.
Der Druck des Wahlkalenders
Die Amerikaner werden damit kein einziges ihrer ursprünglichen Ziele erreichen. Weder verpflichten sich die Taliban in dem Vertragsentwurf, ihre Waffen niederzulegen, noch anerkennen sie die nach 2001 geschaffene Staatsordnung, die regelmässige Wahlen und weitreichende Frauenrechte vorsieht. Die einzige bedeutsame Konzession, die die Islamisten zumindest auf dem Papier machten, ist die Zusicherung, in ihrem Machtbereich keine neuen Terroristennester zu dulden. Für Washington hat dies grosse symbolische Bedeutung, weil die Zerstörung des New Yorker World Trade Center durch Selbstmordattentäter der Kaida einst von afghanischem Boden aus geplant worden war. Doch wer bedenkt, wie die Taliban schon damals jede Komplizenschaft mit der Kaida leugneten und wie sie bis heute Terror gegen unschuldige Zivilisten als legitimes Kriegsmittel betrachten, wird solchen Zusicherungen wenig Vertrauen schenken.
Wie konnte es geschehen, dass die amerikanischen Unterhändler auf ein derart ungleiches Abkommen eingingen? An der militärischen Situation kann es nicht liegen. Afghanistan ist kein zweites Vietnam, kein Konflikt mit einem untragbaren Blutzoll, der in der Heimat Proteste auslösen würde. Im laufenden Jahr kamen 19 Amerikaner auf diesem Kriegsschauplatz ums Leben, viel weniger als während der Offensiven unter Präsident Obama vor einem Jahrzehnt. Der Krieg ist begreiflicherweise nicht populär, aber der Anteil jener, die ihn für zwecklos halten, ist laut Umfragen in den letzten Jahren eher gesunken.
Die treibende Kraft hinter den Abzugsplänen ist Präsident Trump, der den Afghanistan-Einsatz schon vor Jahren als totale Verschwendung hingestellt hatte und Wahlkampf mit dem Versprechen machte, Amerikas «endlose» Kriege zu beenden. Zwar willigte er als Präsident zunächst in eine geringfügige Verstärkung der Militärpräsenz am Hindukusch ein. Aber im letzten Dezember schien sein Geduldsfaden endgültig zu reissen: Erst nach langem Zureden seiner Berater und dem unter Protest erfolgten Rücktritt seines Verteidigungsministers verzichtete er darauf, einen Totalabzug innert weniger Monate anzuordnen. Wer derart offenkundig nach dem Ausgang strebt, hat in einem Verhandlungspoker von Beginn weg schlechte Karten. Den Taliban blieb nicht verborgen, dass der grosse «Dealmaker» im Weissen Haus so oder so einen Rückzug wünscht. Für sie gibt es keinen Grund, dafür grosse Konzessionen zu machen.
Schwache Verhandlungsposition
Aus dieser Position der Schwäche sind die USA bis heute nicht herausgekommen. Aussenminister Mike Pompeo verkündete kürzlich sogar freimütig, dass ihn Trump beauftragt habe, die Truppen noch vor den nächsten Wahlen zurückzuholen. Damit wird der Wahlkalender plötzlich wichtiger als die Ziele, für die einst unter enormem menschlichem Einsatz gefochten wurde. Die Eile – dem Vernehmen nach verlangte Trump einen Vertragsentwurf bis zum 1. September – zwang die Unterhändler, eine Forderung nach der anderen fallenzulassen. So sieht das Abkommen offenbar weder einen Waffenstillstand vor noch Garantien dafür, dass die Taliban mit der gewählten Regierung in Kabul Friedensgespräche aufnehmen werden.
Im Gegenteil: Die extremistische Miliz hat klargemacht, dass sie sich mit der angeblichen «Marionettenregierung» in Kabul nicht an einen Tisch setzen wird. Das Kalkül der Taliban ist leicht erkennbar. Bereits haben ihre Unterhändler den Amerikanern die Zusage abgerungen, in einem ersten Schritt 5000 von 14 000 Soldaten abzuziehen und fünf Militärstützpunkte zu schliessen. Je weiter der Abzug voranschreitet – parallel dazu würden auch die Nato-Partner ihre Kontingente verkleinern –, desto mehr werden die Taliban freie Hand haben, um ihre Macht auf das ganze Land auszudehnen. Ihrem alten Ziel, nach ihrer Vertreibung vor 18 Jahren erneut in die Hauptstadt einzumarschieren, haben sie nie abgeschworen. Nicht einmal während der Schlussverhandlungen bemühen sie sich um den Anschein eines Friedenswillens. Der massive Angriff auf die Grossstadt Kunduz am Wochenende und ein verheerender Autobombenanschlag am Montag in Kabul demonstrieren ihre Absicht, eine Entscheidung mit Gewalt herbeizuführen.
Drohender Rückfall
Dass die Administration Trump dies nicht erkennen will und nur noch auf die nächsten Wahlen schielt, ist äusserst kurzsichtig. Sie setzt damit unnötig aufs Spiel, was seit 2001 in Afghanistan erreicht wurde. Das Land ist zwar keine Demokratie – ein Ziel, das ohnehin unrealistisch wäre. Aber im Unterschied zur Zeit der Taliban-Herrschaft erhalten heute Millionen von Buben und vor allem auch Mädchen eine Schulbildung. In den Gebieten ausserhalb der Taliban-Kontrolle ist eine ganze Generation von Afghanen herangewachsen, die ein Leben mit erheblichen Freiheiten und ohne die unsinnigen Dekrete der engstirnigen Gotteskrieger führen können. Der Wunsch in Washington, die Last dieser Aufbaupolitik loszuwerden, ist nachvollziehbar. Aber ein überstürzter Abzug droht heraufzubeschwören, was die USA schon nach ihrem unüberlegten Totalabzug aus dem Irak 2011 erfahren mussten: den Rückfall des Landes ins völlige Chaos und die Förderung extremistischer Kräfte, die früher oder später auch für die übrige Welt wieder zur direkten Bedrohung werden.
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