Schulden? Davon lassen wir uns doch nicht stören!
Hohe Schulden und Haushaltsdefizite irritierien in den USA weder Demokraten noch Republikaner. Deutsche hingegen setzen auf Schuldenabbau, was Amerikaner zunehmend kritisieren.
Müsste man sich „für einen einzigen Ökonomen entscheiden, um die Probleme der Wirtschaft zu verstehen“, so der Berater des US-Präsidenten, „bestünde wenig Zweifel, dass dieser Ökonom John Maynard Keynes hieße. Obwohl Keynes vor über einem halben Jahrhundert starb, bleibt seine Diagnose von Rezession und Depression das Fundament der modernen Makroökonomie.“
Barack Obama, der im Sinne von Keynes (1863–1946) immer neue Konjunkturpakete zur Ankurbelung der lahmenden heimischen Wirtschaft initiiert und vergleichbare Maßnahmen von den Europäern, allen voran den Deutschen, zur Rettung des Euro fordert, dürfte dem Zitat zustimmen. Aber die Hymne auf den britischen Volkswirt stammt nicht aus dem Umfeld des demokratischen Präsidenten, sondern von Nicholas Greg Mankiw, der von 2003 bis 2005 dem Republikaner George W. Bush als oberster Wirtschaftsberater diente.
Im Kampf um das Weiße Haus, der im November 2012 entschieden wird, stehen sich Demokraten und Republikaner mit einer Feindseligkeit gegenüber, wie sie das Land seit Ende des Zweiten Weltkriegs nicht gesehen hat. Die Republikaner lassen kein gutes Haar an Obamas Wirtschaftspolitik.
Republikaner nicht so weit von den Demokraten entfernt
Keynes gerät in ihrer aktuellen Interpretation zu einem Wiedergänger von Karl Marx. Doch abgesehen von libertären Verächtern nahezu jeglichen staatlichen Engagements, deren Vorreiter der Präsidentschaftskandidat Ron Paul ist, sind die Republikaner gar nicht so weit entfernt von der Wirtschaftsphilosophie der Demokraten
Kämpfte der Demokrat Bill Clinton, der seine Amtszeit mit einem Überschuss beendete, erfolgreich für ausgeglichene Haushalte, so kürzte der Republikaner Ronald Reagan in seiner ersten Amtszeit die Steuern radikal, um sie später massiv zu erhöhen. Er, der den Staat „nicht als die Lösung, sondern als das Problem“ definierte, hatte gewissermaßen eine republikanische und danach eine demokratische Phase
Das simple Bild sieht so aus: Demokraten sehen den Staat als Retter, Republikaner misstrauen ihm. Doch beide Parteien rufen im Angesicht hoher Arbeitslosenzahlen selten nach privaten Investoren, sondern zuerst nach dem Präsidenten, der es richten solle.
Hohe Schulden und Haushaltsdefizite lassen nicht nur die Wähler in den USA kalt, sondern beeindrucken auch Politiker, Experten und Journalisten nur sehr mäßig. Der Titel des Magazins „Time“ vom Silvestertag 1965, formuliert nach einem Aufschwung infolge einer von John F. Kennedy geplanten und von Lyndon B. Johnson exekutierten Steuersenkung, scheint sich regelmäßig zu bestätigen. „We are all Keynesians now!“ Jetzt sind wir alle Keynesianer.
„Deficits don’t matter“
Der Republikaner Richard Nixon versuchte sich an der Kontrolle von Preisen und Löhnen. Nixon sah diese Experiment später als einen seiner größten politischen Fehler an und berief Alan Greenspan, den späteren Chef der Notenbank Fed und einen entschiedenen Anti-Keynesianer, zu seinem obersten Wirtschaftsberater.
Unter George W. Bush setzte sich bei den Republikanern die eher den Demokraten nachgesagte Ansicht durch: „Deficits don’t matter“, Schulden stören nicht. Nach „9/11“ wurden nicht nur Milliarden in den Heimatschutz und zwei Kriege gepumpt. Auch Farmer, die zuvor mühsam an die Gesetze des Marktes herangeführt worden waren, erhielten wieder höhere Subventionen. Der Kongress ließ eine Anti-Defizit-Verordnung, die unter Bush Senior per überparteilichem Schulterschluss eingeführt worden war, auslaufen.
Obama hat nicht erst in den vergangenen Wochen ein stärkeres Engagement der europäischen Regierungen zur Ankurbelung der globalen Konjunktur und zur Rettung des Euro gefordert. Schon bald nach seinem Amtsantritt kritisierte er die Bundesregierung, sie tue zu wenig, um die Weltwirtschaft nach dem Crash des Jahres 2008 wieder in Gang zu bringen. Der leitartikelnde Nobelpreisträger Paul Krugman flankierte in der „New York Times“ die Forderung aus dem Weißen Haus nach einem großzügigeren Einsatz deutscher Steuergelder.
Obamas hat 787 Milliarden Dollar wirkungslos verplätschert
Kanzlerin Angela Merkel rechnete dem US-Präsidenten daraufhin vor, dass die noch von der großen Koalition in Berlin beschlossenen Konjunkturpakete I und II mit ihrem Volumen von über 80 Milliarden Euro durchaus dem Stimulus-Paket Washingtons vergleichbar seien. Insbesondere die Finanzierung der Kurzarbeit und andere Maßnahmen zur Stabilisierung des deutschen Arbeitsmarktes zeigten zudem positivere Effekte als jene 787 Milliarden Dollar Obamas, die seit 2009 weitgehend wirkungslos verplätschern.
Im Angesicht der griechischen Krise wurden die Forderungen aus Washington dringlicher. Insbesondere Deutschland müsse den Euro stützen, was auch immer es koste. Europa habe „nie ausreichend reagiert auf die Probleme seines Bankensystems“, kritisierte Obama.
Die europäischen Staaten hätten zu demonstrieren, dass sie ihren Part zum Schutz des globalen Finanzsystems leisten wollten. Dass Deutschland, die Lokomotive der gemeinsamen Währung, den verschiedenen Euro-Rettungsschirmen immer erst nach kontroverser Debatte zustimmte, wird im Weißen Haus als verantwortungslose Politikverweigerung eines Landes verstanden, das ausgerechnet am Vorabend einer neuen Weltwirtschaftskrise wieder eher national denn europäisch zu denken beginne.
USA taugen kaum als Nachhilfelehrer
Doch in der Haushalts- und Finanzpolitik taugen die USA kaum als Nachhilfelehrer. Zu lange haben sich die USA aufs Konsumieren konzentriert und anderen, zuerst den Deutschen, inzwischen auch den Chinesen, das Produzieren überlassen.
Und Washington schafft es nicht einmal, Republikaner und Demokraten auf eine gemeinsame Strategie zur Lösung der eigenen Probleme zu verpflichten. Da ist die Selbstverständlichkeit befremdlich, mit der sie von Regierungen und Parlamenten in Europa immer großzügigere Rettungsschirme für Nachbarländer erwarten, die es in der Vergangenheit an Sparsamkeit und damit an Solidarität gegenüber den Partnern in der EU mangeln ließen. Gleichwohl wird der Streit zwischen den Amerikanern, die als Lösung der Euro-Krise höhere Ausgaben empfehlen, und EU-Ländern, die auf Kostenkontrolle und Einsparungen setzen, weitergehen.
Zu lange haben die USA dem Konsum gehuldigt und den Chinesen und Deutschen das Produzieren überlassen.
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