Better an Academic Cheat Than a Sexual One

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Lieber ein Plagiatsfall als eine Sexaffäre

Von Johanna Bruckner

7. Februar 2013

Schon mal von der Plagiatsaffäre Joe Biden gehört? Oder dem Prüfungsskandal um Ted Kennedy? Beide US-Politiker wurden als wissenschaftliche Betrüger entlarvt – und haben es dennoch in hohe Staatsämter geschafft. Warum die Amerikaner mit wissenschaftlichem Fehlverhalten anders umgehen als die Deutschen.

Der bekannteste Plagiator der USA sitzt derzeit im Weißen Haus. Barack Obama entlieh seinen berühmten Wahlspruch “Yes we can”, mit dem er in den Präsidentschaftswahlkampf 2008 zog, der Landarbeiter-Bewegung der 70er Jahre. Auch die Zeichentrick-Figur Bob the Builder hatte “Yes we can” als Motto, lange bevor Obama ins höchste Amt des Landes strebte. Doch weder die Landarbeiter noch der patente Baumeister meldeten je Ansprüche an. Auch als Hillary Clinton ihm zwei Jahre später im parteiinternen Zweikampf um die Präsidentschaftsbewerbung vorwarf, in bedeutenden Reden abgekupfert zu haben, kam Obama glimpflich davon: Am Ende reichte der vermeintliche Plagiatsskandal nur zu einem lauen Lüftchen und nicht zum erhofften Gegenwind für den Amtsinhaber.

Weniger Glück hatte da einst Obamas Stellvertreter: 1988 bewarb sich Joe Biden selbst um das Präsidentenamt. Wurden dem damals 46-Jährigen wegen seines vergleichsweise jungen Alters und seinen guten rhetorischen Fähigkeiten anfangs noch gute Chancen ausgerechnet, stürzte er am Ende ausgerechnet über seine Wahlkampfansprachen. Journalisten deckten auf, dass Biden bei mehreren Gelegenheiten fast wortwörtlich eine Rede des damaligen britischen Labour-Chefs, Neil Kinnock, gehalten hatte.

Zum Verhängnis wurde ihm jedoch nicht das Plagiat an sich, sondern die Tatsache, dass er im Zuge der abgekupferten Rede gelogen hatte. “Die noch größere Sünde war, dass er biographische Fakten von Kinnock entlehnte, die zwar auf Kinnock zutrafen, nicht aber auf Biden”, schrieb 2008 Slate-Autor David Greenberg in Rückschau auf den damaligen Skandal. So behauptete der Präsidentschaftsanwärter beispielsweise, aus einer Familie von Minenarbeitern zu stammen und als erster Biden ein College besucht zu haben – wohl um seinem Arbeiterkind-Hintergrund noch mehr Zugkraft zu verleihen.

Im Zuge der Affäre räumte der Demokrat schließlich auch ein, während seines ersten Semesters am Syracuse University College of Law in einer wissenschaftlichen Arbeit plagiiert zu haben. Das Plagiat hatte dabei durchaus Guttenberg’sche Ausmaße: Von einer 15-seitigen Arbeit waren ganze fünf Seiten bei einem bereits veröffentlichen juristischen Fachartikel abgeschrieben. Der Text-Klau fiel bei der Begutachtung auf, Biden bekam die schlechteste Bewertung “F” und musste die Arbeit nochmals schreiben.

Auch Bidens damalige Rechtfertigung erinnert an heutige Plagiatsfälle: Er habe nicht absichtlich plagiiert, sondern ihm sei schlicht die Notwendigkeit nicht bewusst gewesen, sorgfältig zu zitieren, so der Präsidentschaftsbewerber. Christoph Ann, Professor für Wirtschaftsrecht und Geistiges Eigentum an der TU München, hält das für eine in Amerika durchaus erfolgsversprechende Argumentationslinie: “In den USA macht man seinen College- oder Universitätsabschluss in der Regel bis 25. Wenn der politische Gegner dann Jahre später einen Plagiatsskandal ausgräbt, sagen die Beschuldigten: ‘Es tut mir leid. Aber das war doch eine verzeihliche Jugendsünde!'”

Dass Biden schließlich trotzdem aus dem Rennen um die Präsidentschaft ausscheiden musste, erklärt sich Slate-Autor Greenberg folgendermaßen: “Bidens Vergehen (…) schienen auf einen ernsthaften Charakterdefekt hinzudeuten.” Als Obama ihn 2009 zu seinem Stellvertreter erkor, spielte die vermeintliche Plagiatsaffäre, – in der es vielmehr um moralisch fragwürdiges Verhalten ging -, keine Rolle mehr. Journalisten und Öffentlichkeit seien “von zwei Jahrzehnten Skandalmacherei übersättigt”, so Greenberg.

Denn es gibt durchaus Affären, die amerikanische Politiker regelmäßig zu Fall bringen: Immer wieder stolpern Staatsvertreter über Sexaffären, die Lewinsky-Affäre des damaligen Präsidenten Bill Clinton ist wohl das prominenste Beispiel. Wer weiß: Hätte Hillary Clinton Amtsinhaber Obama Ehebruch statt rhetorischen Betrug nachgewiesen – sie säße heute vielleicht schon im Oval Office. Denn moralische Verfehlungen werden in den USA gesellschaftlich weit stärker sanktioniert als wissenschaftliche. Das ist in Deutschland – noch – anders.

Kennedy und die Doppelgänger-Affäre

“Wir leisten uns in Bezug auf unsere Politiker eine bildungsbürgerliche Attitüde, die anspruchsvoll wie kompromisslos ist”, sagt Professor Ann. Das Privat- und erst recht das Intimleben deutscher Politikern galt dagegen lange als deren Privatsache. Erst in jüngerer Vergangenheit sind hierzulande amerikanischere Verhältnisse zu beobachten. So trat der CDU-Politiker Christian von Boetticher 2011 als Spitzenkandidat seiner Partei für das Amt des schleswig-holsteinischen Ministerpräsidenten zurück, nachdem seine Affäre mit einer Minderjährigen publik wurde.

Umgekehrt ist es in Amerika eher unwahrscheinlich, dass ein Minister wegen eines wissenschaftlichen Fehlverhaltens zurücktreten muss. “Die Menschen haben eine ganz andere Beziehung zu Bildung, insbesondere Hochschulbildung”, erklärt Veronika Fuechtner, Professorin am Dartmouth College, im Gespräch mit SZ.de. “In der breiten Bevölkerung gibt es eine gewisse Skepsis gegenüber den Universitäten. Volksnähe ist hier die entscheidende Qualifikation für ein politisches Amt.”

So stieg Ted Kennedy, Bruder des früheren US-Präsidenten John F. Kennedy, zu einem der einflussreichsten Mitglieder des Senats auf (Spitzname: “Lion of the Senate”). Und dass, obwohl er in Jugendjahren von der Harvard University geflogen war.

Bereits in seinem ersten Jahr fiel der Kennedy-Spross wegen seiner Verwicklung in einen Abschreibe-Skandal negativ auf. Hintergrund seines Rauschmisses war jedoch ein Vorfall im zweiten Studienjahr: Aus Furcht, eine Spanisch-Prüfung nicht zu bestehen, bezahlte er einen Kommilitonen statt seiner zu der Klausur zu gehen. Der Doppelgänger flog auf – und sowohl Kennedy als auch sein Komplize wurden der Uni verwiesen.

Sanktionen nicht nur gegen die Betrüger selbst sind in der amerikanischen Wissenschaft üblich. Auch wer bei einem Betrugsversuch mitmacht – und sei es nur als Beobachter -, muss Konsequenzen befürchten. Denn während die breite Öffentlichkeit akademische Fehler verzeihlich finden mag, gilt an den Universitäten ein wesentlich strengerer wissenschaftlicher Verhaltenskodex als hierzulande.

“Studenten verpflichten sich schriftlich, einen Betrugsversuch zu melden, wenn sie Kenntnis davon bekommen”, erläutert Professor Ann von der TU. So werde versucht, eine gleiche Ausgangslage für alle zu schaffen – “denn letztendlich entscheiden Noten über Lebenschancen”. Im Gegensatz dazu gelte unter den Studierenden in Deutschland das Credo: “Ein guter Student lässt andere abschreiben.”

Ted Kennedy durfte nach zwei Jahren in der Armee als Student nach Harvard zurückkehren. 2008, kurz vor seinem Tod, rehabilitierte die Universität den einstigen Mogel-Studenten dann endgültig – als sie ihm für seine Lebensleistung die Ehrendoktorwürde verlieh.

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