Switching to Optimism

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Umschalten auf Optimismus

von Markus Ziener und Georg Watzlawek

05.04.2012

In Amerika gäbe es genug zu nörgeln: Reformstau, wirtschaftliche Altlasten, soziale Spannungen. Doch Jammern ist nicht patriotisch, beobachten USA-Experten. Die besten neuen Bücher zum Wahljahr.

Washington/Düsseldorf. Eins hat die Neue Welt der Alten noch voraus: den unerschütterlichen Optimismus. „Yes we can“ war nicht nur der Siegesslogan von Barack Obama: In seiner individualisierten Form „Ich schaffe das“ war und ist er Amerikas Leitmotiv. Wer da allzu energisch auf die tiefen Missstände im Land verweist, gilt schnell als Nestbeschmutzer. Dagegen haben die gründlichen, nörgelnden Deutschen kein Problem damit, den Finger ganz tief in die Wunde zu legen.

Mit der Wahl der Titel machen Josef Braml („Der amerikanische Patient“) und Reymer Klüver/Christian Wernicke („Amerikas letzte Chance“) klar, in welche Richtung ihre Bücher gehen, die sie zum Ende von Barack Obamas erster Amtszeit und zur Präsidentschaftswahl im November vorgelegt haben.

Die beiden Bücher benutzen zwei ganz verschiedene Untersuchungsmethoden, wenn sie dem Patienten Amerika zu Leibe rücken, aber sie kommen beide auf ihre Art zur selben Diagnose.

Josef Braml, der Politologe, analysiert den Zustand Amerikas mit wissenschaftlichem Röntgenblick. Sein Urteil ist so eindeutig wie vernichtend: Die USA litten an sozialen Gleichgewichtsstörungen, einer politischen Ohnmacht, wirtschaftlichen Herzrhythmusstörungen und einer energetischen Antriebsschwäche. Diese massiven Beeinträchtigungen könnten zum Kollaps führen, würden Amerika aber auf jeden Fall daran hindern, seine Interessen „so umsichtig zu vertreten wie bisher“.

Die Diagnose der inneren, politischen und wirtschaftlichen Probleme begründet Braml präzise und faktenreich. Dann folgen Seiten, in denen er die außenpolitischen Verflechtungen im Detail geradezu lexikalisch aufblättert. Auch das sehr fundiert, aber es führt vom Fokus des Buches fort.

Rezept der Gründungsväter

Immerhin führt es hin zu einer Lösung, die der Politologe für Amerikas Krise anbietet: eine umfassende Kehrtwende in der Energiepolitik, verbunden mit einer harten Erdöl-Entziehungskur. Nur so könnten sich die USA außenpolitisch neue Spielräume und dem alten Erfindergeist neuen Raum verschaffen – und letztendlich auch die wirtschaftliche Notlage überwinden.

Hier zeigt sich, auf welchem Wege die deutsche Politik auf Washington Einfluss nehmen könnte, ganz deutlich: Braml ist ein praxisbezogener Wissenschaftler. Von seiner Arbeit für die Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) ist er es gewohnt, Handlungsanweisungen zu liefern. Für den Leser, der gern mehr über Amerikas inneren Zustand erfahren hätte, wirkt das jedoch konstruiert.

Was bei Braml fehlt, liefern in schon fast perfekter Ergänzung die beiden Journalisten Reymer Klüver und Christian Wernicke. Auch sie beschreiben keine Idylle. Ganz im Gegenteil. Sie schildern ein Amerika, in dem Menschen in Autos übernachten, weil sie auf einmal ihr Zuhause verloren haben. Menschen, die kein Geld haben, um zum Zahnarzt zu gehen.

Es ist dasselbe Amerika, aus dem Braml berichtet und für dessen Ungleichgewichte er Zahlen liefert: zum Beispiel die Vermögenswerte, die bei weißen Amerikanern achtzehnmal so hoch sind wie bei der schwarzen Bevölkerung. Es ist ein Amerika, das am Reformstau erstickt und das vor der Wahrheit über seinen tatsächlichen Zustand die Augen verschließt. Und es ist ein Amerika, das sein Heil in den Rezepten der Gründerväter sucht, auch wenn diese schon mehr als 200 Jahre alt sind.

Klüver und Wernicke, die seit bald sieben Jahren aus den USA für die „Süddeutsche Zeitung“ berichten, gehen an die Wurzeln der Misere. So besuchen sie Opfer und Täter der Immobilienkrise, die dabei auch beides zugleich sein können. Opfer, weil sich Hauskäufer von Kredithaien über den Tisch ziehen ließen. Und Täter, weil sie gedankenlos viel zu viel des angebotenen Geldes annahmen und die Verpflichtung zur Rückzahlung verdrängten.

Zur Beschreibung liefern die Autoren auch den politischen und ökonomischen Kontext. Warum etwa viele Amerikaner in China vor allem eine Bedrohung sehen und weshalb die einst rasant vorangetriebene De-Industrialisierung der USA nun zu einem Fluch wird. Und wie ein anderer Fluch auf dem Land liegt wie Mehltau: die Kosten der Kriege, die auch dann noch wachsen, wenn sie längst geschlagen sind. Weil ein Heer von an Körper und Seele verwundeten Veteranen nach medizinischer Behandlung verlangt – und das noch viele Jahrzehnte lang.

Wer auserwählt ist, der hat sein Schicksal zu tragen

Wie ein Hohn liest sich da das Kapitel über den amerikanischen „exceptionalism“, die vielbeschworene historische Ausnahmestellung der USA. Weil diese vermeintliche Größe im Angesicht des Unheils, das über das Land gekommen ist, so unglaublich realitätsfremd erscheint. Und doch erklärt das Festhalten am Sonderstatus, warum in den USA ohne Murren so viel erlitten und erduldet wird: Wer auserwählt ist, der hat eben sein Schicksal zu tragen.

Wenn ein Historiker wie Andrew Bacevich („The End Of American Exceptionalism“, 2008) genau das Ende dieses Status verkündet, bläst ihm als Nestbeschmutzer heftigster Gegenwind ins Gesicht. Klüver und Wernicke haben Bacevich in Boston besucht. Und der erklärt, warum es zumindest für Präsidenten in den USA keine gute Idee ist, über die eigenen Probleme zu reden. Jimmy Carter hatte dies 1979 in seiner sogenannten „Malaise-Rede“ einmal getan – und wurde prompt dafür bestraft. Ein Jahr später verlor er gegen den Gute-Laune-Kandidaten Ronald Reagan.

Auch dies ein Grund, warum der Gesellschaftskritiker Obama seit kurzem verstärkt auf Optimismus umschaltet. Pessimisten haben in den USA keine Chance. Für Bacevich ein kardinaler Webfehler des Systems: Denn damit bestärkten die Politiker das Volk noch in seinem Lebensstil und seinem Irrglauben an eine falsche Freiheit.

Selbst der Ausblick bietet da keinen wirklichen Lichtblick. Und es ehrt die Autoren, dass sie der Versuchung zum unbegründeten, aber in Amerika eben so weit verbreiteten Optimismus widerstanden. Auch deshalb ist „Amerikas letzte Chance“ ein exzellentes Buch geworden – weil es nicht alle Fragen beantworten will.

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